
„Schatz, ich kann nichts dafür, dass ich das Formular vergessen und unser Kind zu spät abgeholt habe. Du hast mich nicht daran erinnert!“ Ach, stimmt. „Mutti“ hat neben Beruf und Kinderbetreuung noch einen dritten Job: die Vater-Steuerung. Kennt ihr nicht? Dann hört mal genau hin, wenn ihr das nächste Mal auf dem Spielplatz oder in der Stadt unterwegs seid: Vati macht brav, aber Mutti plant und erinnert. Stichwort Mental Load, das An-alles-Denken-im-Alltag. Aber es ist noch mehr. Denn eigentlich geht es hier um Rollenzuschreibungen, ungleich verteilte Verantwortungsübernahme – und letztlich um Macht. Weil es ziemlich wirkungsvoll sein kann, Dinge im richtigen Moment zu „vergessen“.
Ihr habt einen Mann an eurer Seite, der ganz von selbst an die hundert Aufgaben eures gemeinsamen (Familien-) Alltags denkt? Wunderbar. Dann lehnt euch entspannt zurück und schaut ein wenig mitleidig auf die Frauen, die so doof sind, sich zur „Mutti“ ihres Mannes machen zu lassen. Indem sie auf die Waschmaschine Zettel kleben: „Wollpullover 30, nicht 60 Grad“ oder – subtiler – nachfragen, wer denn jetzt zum Elternabend geht, die U6 übernimmt oder das Geschenk für Svens besten Freund kauft. Weil der Termin in drei, zwei, einem Tag ansteht und er keine Anstalten macht, eine entsprechende Frage zu stellen.
„Was ist denn so schlimm daran, wenn sie mich erinnert? Auch drei bis vier Mal? Ich mache es dann ja.“ Das fragte mich vor einiger Zeit allen Ernstes ein junger Vater. Und tatsächlich ist er äußerlich sehr engagiert in der Familie, bringt sich in die Erziehung und Fürsorge für die gemeinsamen Kinder mit ein, wird von ihnen als lockerer und oft entspannter Papa geliebt.
Spannend: Dasselbe Thema aus Männersicht in einem Artikel von Nils Pickert auf pinkstinks.de
Seine Frau wirkt im Gespräch weniger entspannt: „Manchmal kommt er mir wie ein drittes Kind vor“, beklagt sie sich: „Er hilft mit, das ja. Aber wenn ich nicht daran denke, passiert auch nichts. Ich habe es schon versucht. Er lässt die Sachen, auf die er keine Lust hat, einfach liegen. Auch Dinge, die mich und die Kinder betreffen. Erinnere ich ihn daran – beim dritten oder vierten Mal meist ziemlich gereizt -, tut er erstaunt oder behauptet, er habe das Ganze ohnehin gerade angehen wollen. Und ich solle ihn nicht so drängeln. Mich macht das verrückt.“
Verständlicherweise, wie ich finde. Denn wer hier eigentlich die gesamte Verantwortung trägt, ist sie. Für ihn ist diese Rollenverteilung ganz bequem – wenn auch natürlich nicht ohne Preis. Zwar denkt sie an alles, erledigt am Ende vielleicht sogar seine Aufgaben, aber er verliert dadurch auf lange Sicht sicher ihren Respekt – und vielleicht sogar den Respekt vor sich selbst. Denn im tiefsten Inneren weiß er, dass er (wieder) nicht die Kraft gefunden hat, sich einer für ihn unangenehmen Aufgabe zu stellen. Es kann natürlich auch sein, dass er tatsächlich wie ein Teenager frohlockt, die lästigen Aufgaben geschickt abgewälzt zu haben. Aber vermutlich ist ihm als erwachsenen Mann, der zum Beispiel im Beruf sehr wohl bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, schon bewusst, dass hier etwas schief läuft – allein der Wille zur Veränderung fehlt.
Ist daran wiederum sie Schuld mit ihrer „Überfürsorglichkeit“ und „Kontrollwut“? Letztlich wird sie durch sein Verhalten ja in die Rolle der „Mutti“ gedrängt. Natürlich kann sie sich dagegen entscheiden, kann aufhören, ihn um Mit-Hilfe zu bitten und liegen lassen, wozu er nicht von selbst bereit ist. Geht es dabei jedoch um Erledigungen, die alle in der Familie betreffen, ist es nicht wirklich praktikabel, sie zu seiner Sache zu machen. Wollte er sich um die Inspektion des Familienautos kümmern oder die ausstehende Rechnung bezahlen, fällt es auf alle zurück, wenn das Ganze liegen bleibt.
Hier kommt die Frage von Macht und Ohnmacht ins Spiel: Während er sich von ihr vermutlich kritisiert, gegängelt und dominiert fühlt, übt ganz subtil doch er die Macht aus. Denn das „Vergessen“ und Liegenlassen zwingt wiederum sie zum Handeln. Zumindest, wenn für sie dadurch, dass er nichts unternimmt, negative Konsequenzen entstehen.
Wie aus dieser Schleife aus Vorwurf und fehlender Verantwortungsübernahme herausfinden? Eigentlich ist die Antwort einfach – wenn auch in der Umsetzung nicht leicht, gerade wenn einer tief verinnerlicht hat, schwierigen Situationen und damit auch Konflikten auszuweichen.
Was beide tun können:
- Sie darf erkennen, welchen Druck sie sich – und ihm – macht.
- Er darf erkennen, dass sein Rückzug und sein Ausweichen ihren (Nach-) Druck bloß verstärkt.
- Sie darf sich fragen, warum sie soviel Verantwortung übernimmt, meist in allen Bereichen ihres Lebens. Und warum sie es so stört, wenn andere es nicht tun.
- Er darf sich fragen, inwiefern es ihm nützt, Dinge liegen zu lassen und was an Schaden dadurch entsteht.
- Sie darf sich den Themen Angst vor Kontrollverlust, Vertrauen und Selbstwert zuwenden.
- Er den Themen Selbstwert, Angst vor Scheitern und Glaube an die eigene Wirksamkeit.
Und wenn sie sich danach noch streiten, dürfen beide friedlich als Paar auseinandergehen. Weil Paar-Sein nicht bedeutet, dass der eine lenkt, der andere pariert, dass der eine immer abgibt, der andere die Verantwortung trägt. Sondern dass sich zwei begegnen, die wissen, wer sie sind und warum sie Dinge tun oder nicht tun. Dadurch ist Begegnung auf Augenhöhe möglich. Und wirkliche Partnerschaft. Ohne nicht.
Herzlichen Gruß, Sarah Zöllner (mutter-und-sohn.blog)
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